Über die Schotten gibt es viele Klischees, die vor allem mit Whiskey, Schottenröcken und Dudelsäcken zu tun haben. Meine Reise nach Schottland hat keins dieser Klischees bestätigt. Mir sind stattdessen sehr aufgeschlossene und humorvolle Menschen begegnet, die sich viele Gedanken um Nachhaltigkeit, politische Unabhängigkeit und gesellschaftlichen Wandel machen. Und ich habe trotz aller Warnungen vorm eher deftigen Essen und dem sehr durchwachsenen Wetter sehr gut vegetarisch gegessen und fast einen kleinen Sonnenbrand bekommen. Zudem habe ich das erste vegane Hotel Großbritanniens besucht und war in einer konsequent nachhaltig lebenden Gemeinschaft, die es schon seit den 60er Jahren gibt. Und geht es nicht beim Reisen genau darum - aus vorgefertigten Vorstellungen und Bildern, gelebte Eindrücke und echte Erlebnisse zu machen? Ich habe erfahren, dass Schottland seine Waldfläche innerhalb der letzten hundert Jahre durch Aufforstung verdreifachen konnte auf den Bestand von vor tausend Jahren. Überall sieht man durch Ummantelung geschützte Setzlinge an Hängen und am Straßenrand. Das allgemeine Tempolimit von siebzig Meilen wird in Schottland konsequent eingehalten. Zudem kann man das Land sehr gut per Bus und Bahn bereisen. Harry Potter-Fans können sogar mit dem dampfenden Hogwarts-Express (The Jacobite) fahren, der in Fort William startet.
1. Edinburgh – eine mittelalterliche Stadt mit zeitgenössischen Food Trends
Meine Rundreise hingegen startet in Edinburgh, der hügeligen Hauptstadt Schottlands. Neben ihrer imposanten mittelalterlichen Innenstadt, über der das Edinburgh Castle inklusive der Kronjuwelen thront, gibt es das elegante New Town-Viertel und die berühmte Royal Mile, an der entlang sich jede Menge Sehenswürdigkeiten und entsprechend auch Touristen tummeln. Mit dem Bus oder der Straßenbahn kommt man entspannt in und durch die Stadt. Die Museen sind kostenfrei und eine wirklich gute Regen-Alternative. Das National Museum hat zudem eine ansprechende Architektur und eine schöne Cafeteria. Das etwas bunte Sammelsurium aus Naturkundemuseum, Technikausstellung und Mitmachangebot ist für kleine und große Kinder sehr abwechslungsreich.
Kulinarisch hat Edinburgh jede Menge zu bieten; klassische Pubs, coole Coffee Shops, teure Edel-Gastronomie und außerdem viele vegetarische Restaurants. Natürlich gibt es auch immer noch das berühmte „English Breakfast" mit gebratenem Schinken, Bohnen, Eiern, Würstchen und Black Pudding. Aber eben auch oft in der vegetarischen Variante mit roter Beete und Veggie-Würstchen.
Ich entscheide mich dafür eine echte Institution zu besuchen - das vegetarische Restaurant Hendersons gibt es bereits seit den 60er Jahren. Seit 2021 liegt es im Stadtteil Bruntsfield und wird vom Enkel der ursprünglichen Besitzerin geleitet, der auch das Konzept modernisiert hat. Der einladende Gastraum ist mit hellen Farben und viel Holz gemütlich eingerichtet von der Decke hängen hübsche Trockenblumen, die dekorativ beleuchtet sind. Auf der Karte findet sich sogar der schottische Klassiker Haggis – eigentlich ein Gericht aus Innereien – in der vegetarischen Variante aus roter und gelber Beete mit karamellisierten Zwiebeln und Whiskey-Soße. Als Vorspeise gibt es unter anderem eine Art deftige Creme Brûlée mit Mais und Süßkartoffel-Pommes. Die Linsenbolognese mit geräucherter Aubergine und Walnuss auf Polenta ist mit vielen Kräutern köstlich abgeschmeckt. Zum Nachtisch gibt es einen flüssigen Schokoladen-Kuchen mit einem Pistazien-Eis am Stiel und Blütendeko. Alles schmeckt vorzüglich und die Preise sind für schottische Verhältnisse sehr moderat.
Nebenan gibt es das Modern Standard Café, das nicht nur fair gehandelten Kaffee verkauft, sondern auch als erste britische Rösterei ein Prozent ihres Umsatzes für nachhaltige Projekte spendet.
2. Pitlochry – das Erste vegane Hotel, ein berühmtes Castle und ein Staudamm mit Power
Weiter geht's ins Landesinnere Richtungs Highlands. Der Staudamm in Pitlochry versorgt die gesamte Region mit Strom und um ihn herum führen einige schöne Wanderwege wie der Killiecrankie Walk. Auch ein Ausflug ins berühmte Blair Castle aus dem dreizehnten Jahrhundert mit großer Gartenanlage und Wildgehege lohnt sich.
Ich übernachte im wunderschönen Soarsa Hotel, das erste komplett vegane Hotel Großbritanniens. Das historische Gebäude hat ein modernes Update erhalten. Der gelungene Stil-Mix aus Dschungeltapeten, bunten Samtsofas, Designerlampen und cooler Kunst an den Wänden zieht ein entspanntes Publikum an. Und die sehr gut sortierte Bar lädt zum Verweilen ein. Im großen Garten gibt es diverse Sitzgelegenheiten, einen beleuchteten Whirlpool und eine Yoga-Jurte. Das abendliche Tasting-Menü mit fünf köstlichen Gängen, wie Rote-Beete-Tartar, Radieschen-Ravioli und Oliven-Schokomousse ist überraschend und schmeckt wirklich gut.
Vegan oder vegetarisch auf Reisen? Hier findest du unsere 10 Tipps für alle die im Urlaub vegan oder vegetarisch essen.
3. Nairn – Strandschönheit, alternative Lebensform und überraschende Delfine
Die Durchgangsstraße durch Nairn lässt kaum den schönen Ortskern und die wunderschöne Strandpromenade im Nordosten des Landes vermuten. Einmal aus dem Auto ausgestiegen kann man die Stadt, die beiden Strandabschnitte und den Hafen gemütlich zu Fuß erlaufen. Am Strand gibt es moderne Strandbuden mit frischem Fish'n Chips und Soft Ice. Ich steuere das kürzlich eröffnete The Highland Weight in der Stadt an. Ein schöner kleiner Unverpackt-Laden mit sehr gutem Bistro. Gestärkt mit Halloumi-Flatbread und Kürbissuppe geht es zurück an den Strand. Die Aprilsonne scheint ordentlich und ich frage mich, warum ich eigentlich an alles gedacht habe, außer an Sonnencreme. Vom Strand aus sieht man kurz vor der Küste plötzlich Delfine aus dem Wasser springen. Erst später lese ich, dass Nairn zu den Top-Destinationen weltweit gehört, um Delfine vom Land aus zu beobachten - ein ungeplantes Highlight.
Ich übernachte im Bed & Breakfast von Arthur und seiner Familie im Washington House. Die Unterkunft ist unglaublich geschmackvoll eingerichtet, wie aus einem Wohnmagazin - mit wunderschönen Fundstücken von Reisen, originellen Lampen, Designerstücken, tollen Teppiche und Kissen. Dazu serviert Arthur am Morgen das beste Frühstück der Insel – Porridge mit Blaubeeren, Pancakes mit hausgemachtem Pflaumenkompott oder ein pochiertes Ei auf einer Art Parmesan-Tortilla - und dazu gibt es auch noch spannende Reise- und Insidertipps.
Arthur empfiehlt einen Abstecher zur Findhorn-Community, die nur wenige Kilometer von Nairn entfernt liegt und weltweit bekannt ist. Peter und Eileen Caddy gründeten sie aus der Not heraus im Jahr 1962 zusammen mit Dorothy Maclean. Die drei hatten zuvor erfolgreich ein Hotel geleitet und mussten nach ihrer überraschenden Kündigung plötzlich neu anfangen. Sie zogen auf einen Wohnwagenplatz und verdienten sich Geld dazu, indem sie Gemüse anpflanzten. Der karge Boden gab anfänglich nicht besonders viel Ertrag her, aber mit einer Mischung aus Esoterik und Pflanzenliebe gelang es ihnen zunehmend größere und bessere Kräuter, Blumen, Obst und Gemüse zu ernten. Der Erfolg sprach sich rum und machte den Garten berühmt. Immer mehr Menschen siedelten sich in Findhorn an, um in dieser spirituellen Community zu leben. Heute gibt es hier Solaranlagen, Windräder, Cafés, Restaurants, Veranstaltungsräume, einen gut sortierten Bio-Supermarkt und ein umfangreiches Seminarangebot. Ich begnüge mich mit einem guten Kaffee und einem leckeren Stück Kuchen im Phoenix Café und genieße die Sonne mitten im Steingarten. Über die Dünen gelangt man an einen Strand mit kleinen Badehäusern und einem netten Restaurant am Hafen namens The Captain´s Parlour.
4. Inveraray – Kirchen am See, lohnende Wanderungen und Wasserfälle Am Wegesrand
Der spontan gewählte Zwischenstopp auf dem Weg nach Glasgow stellt sich als weiteres Highlight heraus, als es gegen Abend ruhiger wird und einige sehr gute Restaurants öffnen. Nachdem am Nachmittag schon der Kaffee-Wallnuss-Kuchen hervorragend war, esse ich abends in meinem netten Bed & Breakfast (Brambles of Inveraray) noch einen Halloumi-Spieß mit Miso-Mayo und falle glücklich ins Bett. Im Ort selber gibt es nicht nur ein Schloss mit einem großen Garten zu besichtigen, sondern auch diverse Ausflugsziele in der Umgebung. Die wunderschöne St. Conans Kirk liegt direkt am Wasser und in ihrer kleinen Teestube scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Ein schöner Spaziergang namens Sutherland's Grove Forest Walks führt auf verschieden langen Wegen an imposanten Wasser-Kaskaden vorbei. In ganz Schottland weisen übrigens grüne Schilder auf die Sehenswürdigkeiten am Wegesrand hin, die meistens kostenfrei sind und einen Abstecher lohnen. Wasserfälle, Moosbedeckte Wälder, hübsche Kirchen und Schlösser oder auch mal eine Weide mit haarigen Hochlandrindern.
5. Glasgow – Museen, Murals, ein Klimaneutraler Club und ein Glorreiches Restaurant
Next Stop Glasgow - die größte Stadt des Landes. Einst das Sorgenkind des Landes mit hoher Arbeitslosenquote nach dem Ende der Kohle- und Stahlindustrie, hat sich die Stadt zu einer spannenden Kulturmetropole gemausert. Im Stadtteil Finnieston liegt die Universität, einige Museen und der schöne Kelvingrove Park. Hier befindet sich auch die quirlige Argyle-Straße - ein echtes Foodie Paradies. Es gibt alles von Ramen-Suppe bis Tacos und von Craft-Beer bis Pisco Sour. Mir hat es das Gloriosa angetan, das nicht nur wunderschön eingerichtet ist, sondern mit einer saisonalen Karte überzeugt. Im Frühling gibt es natürlich Spargelgerichte, Erbsen und köstliche Pasta mit Rauke. Die Pasta wird im Restaurant sogar frisch hergestellt. Besonders lecker ist das hausgemachte Brot mit Rosmarin und Meersalz, dass man hervorragend zum Aufsaugen der köstlichen Soßen verwenden kann.
In Glasgow gibt es sogar eine Klimaneutrale Event-Location das sogenannte SWG3. Hier wird die Körperwärme der Besucher:innen durch ein Rohrsystem in zweihundert Meter Tiefe gespeichert und bei Bedarf wird diese Energie dann zum Heizen oder Kühlen verwendet. Zum Vergleich - ein Berliner Club verbraucht an einem durchschnittlichen Wochenende bis zu 1600 Kilo C02. Rocken ohne Reue klingt irgendwie gut!
„Sláinte" sagt man in Schottland zum Anstoßen und immer wieder kommt man mit den freundlichen Schotten ins Gespräch, die sich wirklich dafür interessieren, wie mir ihr Land gefällt. Mich hat es im Sturm – nein bei strahlendem Sonnenschein – erobert und ich komme bestimmt bald wieder.
Wer eine Unterkunft in Schottland mitten in der Natur sucht, findet sie hier: Das Tinyhouse Inverlonan. Unsere Autorin Nadine berichtete bereits über den Aufenthalt vor Ort.
© Fotos: Unsplash/Giorgio Trovato, Geraldine Voss, Claudia Walliser
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