Für mich heißt es: ein neuer Winter, eine neue Kanareninsel. Dieses Mal hat es mich nach Fuerteventura verschlagen. Der erste Gedanke, den viele Menschen bei dieser Insel vermutlich haben, ist eher: staubig, steinig, karg. Und das ist auch absolut richtig. Diese Insel bietet in der Vegetation nur eine spärliche Auswahl an Vielfalt. Und dennoch habe ich mich nach einem Monat sehr in diese Insel verliebt.
Eine Insel entdeckt sich neu
Fuerteventura liegt etwa 120 Kilometer von der marokkanischen Küste mitten im Atlantik. Mit knapp 100 Kilometer Länge ist sie nach Teneriffa die zweitgrößte Insel der Kanaren. Früher war Fuerteventura primär bei Badegästen im Sommer beliebt. So reihen sich vor allem an der südwestlichen Küste Hotelburgen und Ferienanlagen entlang der Küste hinter den weißen Sandstränden aneinander. Doch in den letzten Jahren hat sich hier viel verändert. Während Corona war diese Insel Rückzugsort für viele Menschen, die das Glück hatten, ihre Arbeit auch remote machen zu dürfen. So hat sich seitdem eine ständig wachsende Gemeinschaft an digital Nomads gebildet, die vor allem in den Wintermonaten die Insel ihr neues Zuhause nennen. An allen Ecken der Insel sprießen neue Coworking Spaces aus dem Boden, wie die kleinen Sukkulenten auf den schroffen Felsen nach einem Regenschauer. Aber was macht diese Insel so besonders?
Bereits bevor ich Anfang Januar 2023 auf die Insel kam, um von hier meine Online-Weiterbildung im Bereich Nachhaltigkeitsmanagement zu machen, war ich im Austausch mit Matteo "El Parce" von CoCoWorking. Dieser befindet sich in El Cotillo, einem ehemals verschlafenen Fischerdorf an der nordwestlichen Spitze von Fuerteventura. Ich erzählte ihm ein wenig davon, dass ich gerade auf der Suche nach neuen Herausforderungen und Aufgaben bin und mich beruflich neu orientieren möchte. Er versprach mir, dass diese Insel mit ihrer ganz eigenen Energie eine fast heilende Wirkung auf die Menschen haben würde.
Deshalb entschloss ich mich Anfang des Jahres auf den Weg zu machen. Direkt vorweg, dies wird kein Best Off Blogpost, sondern mehr eine Hommage an diese Insel mit ihrer ganz eigenen Energie.
Drei Welten: Leidenschaft, Nomaden & Pauschalreisende
So stieg ich also aus dem Flieger, gemeinsam mit circa 200 anderen Deutschen, auf der Suche nach der Wärme. Ich kann natürlich nur vermuten und will genauso wenig Schubladen öffnen, aber die meisten Menschen die hier mit mir ankamen entsprachen eher dem gängigen Pauschaltouristen Klischee und machten sich bei ihrem sieben Tage Insel Urlaub vermutlich nicht so viele Gedanken über die 600 Kilogramm CO₂, die jeder und jede einzelne von uns für die knapp fünf Stunden Flug in die Luft geblasen hat. Das entspricht nach Berechnungen der Organisation Earth Overshoot Day also etwa ein Drittel des jährlichen Budgets, das wir alle haben, um rechnerisch in den planetaren Grenzen der CO₂-Kapazität zu bleiben.
Auch bietet die Insel zwar einen Bus, der einmal die Stunde vom Flughafen in die nördlichen Ortschaften fährt, dennoch entschied ich mich wie die meisten für den Mietwagen. So ging es zunächst in den Norden der Insel in das kleine Örtchen Lajares, welches genau in der Mitte der Nordspitze zwischen El Cotillo (Westen), Majanicho (Norden) und Corralejo (Osten) liegt. Von hier braucht man zu allen Seiten circa 10 Minuten mit dem Auto. Während ich so durch die karge und felsige langsam die kurvigen Straßen entlang fuhr und mir der lauwarme Wind durch das offene Fenster ins Gesicht wehte, erfüllte mich ein Gefühl der Glückseligkeit. Ich habe es wieder geschafft, ein neues Abenteuer steht bevor.
Das Leben der Surfer
Für die erste Woche hatte ich mir ein Zimmer in einem kleinen Hostel gebucht, welches von einem Pärchen betrieben wurde, die gemeinsam mit den Gästen im selben Haus wohnten. Genau wie die ganze Familie, waren auch die restlichen Gäste alle Surfbegeisterte aus verschiedenen Teilen Europas, die zum Teil schon seit vielen Jahren im Winter immer wieder an diesen Ort kamen. Für sie war das wichtigste Thema: Wellen. Am Morgen beim Frühstück wurden die tagesaktuellen Konditionen im Windfinder gecheckt. Am Abend wurde bei einem Bierchen und anderen Genussmitteln über die Erfolge des Tages gesprochen. Wo brechen die Wellen am besten, welcher Spot ist morgen besser, was war die krasseste Verletzung, die man sich bereits beim Surfen zugezogen hatte.
Da das Hostel eher grundlegend ausgestattet war und für Ruhesuchende gedacht war, besuchte ich tagsüber den nahegelegenen Coworking Space von Surfescape. Die Stimmung hier war ein kompletter Kontrast. Viel mehr fühlte man sich wie in einem modernen Berliner Hipster Café nur unter Palmen. Und natürlich mit Blick auf den Pool, an deren Rand sich zur Mittagspause der eine oder die andere Coworker:in zu sonnen pflegte, bevor es in den nächsten Call ging. Abgerundet wurde das Ganze durch frische Açai-Bowls und Yogastunden am Morgen und Nachmittag. Die Menschen hier waren weniger auf der Suche nach guten Wellen, sondern vor allem danach, in ihrem beruflichen Alltag die Routine durch ein wenig Vitamin D und frische Seeluft aufzuwerten.
Neue Perspektiven in Suburbia
In meiner zweiten und dritten Woche lebte ich in einem Haus in Orio Mare, welches nahe der Nordspitze liegt. Dieser Ort ist der einstige Versuch, einen amerikanischen Suburb zu gestalten. Jedes Haus sieht exakt gleich aus, als hätte jemand die Stadt in dem bekannten Computerspiel SIMs gebaut. Ohne Auto ist man hier aufgeschmissen.
Daher nutze ich die freie Zeit gemeinsam mit Dina, einer Freundin aus Berlin, die mich besuchte, um am Wochenende einen Abstecher nach Lanzarote zu machen. Mit der Fähre dauert die Überfahrt nur etwas über 30 Minuten und kostet 20€ pro Person (Auto circa 25€). Die Fähren fahren regelmäßig mindestens einmal die Stunde. Dort konnten wir eine Nacht in der Finca Mimosa verbringen. Lanzarote unterscheidet sich vor allem durch seine jüngere Vulkanaktivität und eindrucksvolle Lava-Strukturen, die sich vor allem im Timanfaya Nationalpark bestaunen lassen. Wer sich gern im Surfen ausprobieren möchte, für den ist die Bucht von Famara das perfekte Ziel. Die Profis auf dem Wasser tummeln sich auf den Wellen bei La Santa, welche wir aus sicherer Entfernung beobachten konnten.
Zurück auf Fuerteventura und nach dem Abschied von Dina, lebte ich mit einer jungen Französin und ihrem Kumpel zusammen in dem Haus. Sie gab mir eine vollkommen neue Perspektive auf die Insel. Sie lebt bereits seit einem Jahr hier und arbeitet in einem Surfcamp. Sie bezeichnete die jüngste Entwicklung der sich stark verbreitenden Digital Nomads als eher problematisch. In ihren Augen erkennen diese Menschen die wahre Schönheit dieser Insel nicht. Außerdem sind die Preise für Mietwohnungen durch die Decke geschossen, da die Nachfrage nach Wohnungen, vor allem natürlich in Küstennähe stark angestiegen ist. Für Einheimische ist es fast unmöglich, mit den hiesigen Gehältern noch ein normales Leben zu führen, da sich die Mietpreise in den letzten zwei Jahren zum Teil mehr als verdoppelt haben. So bringen die digitalen Nomaden zwar auch Geld mit auf die Insel, sind meist jung, beruflich erfolgreich und verdienen für kanarische Verhältnisse gutes Geld, aber schaffen auch eine völlig neue Zielgruppe, auf die diese Insel noch nicht so richtig eingestellt ist.
Die andere Seite der Insel
Und dann sind da noch die "normalen" Tourist:innen, die sicherlich nach wie vor einen Großteil der hier ankommenden Menschen ausmachen. Die jungen Leute fluten die Surfcamps im Norden der Insel, die vor allem in Corralejo gefühlt an jeder Ecke zu finden sind und versuchen, der Begeisterung nach diesem neuen Trendsport einen Teil abzugewinnen. Alle Menschen, meist ältere oder Familien, die ein wenig mehr Ruhe suchen, finden sich zumeist auf dem südlichen Teil der Insel, wo die Wellen kleiner und die Küste sandiger ist.
Nach einem Monat auf der Insel fragte ich mich nun, was gibt einem diese Insel?
Und vor allem, wie kann es eine solche Insel schaffen, mit den neuen Bedürfnissen, den neuen Interessen und Ansprüchen nachhaltig umzugehen?
Die Energie der Gelassenheit finden, ohne zu Suchen?
Für mich ganz persönlich haben sich alle Erwartungen übertroffen. Es waren nicht viele, da ich meistens versuche unvoreingenommen - andere nennen es ohne Plan - eine neue Destination zu entdecken. Für mich habe ich vor allem wieder mehr gelernt, im Moment zu leben. Ob es die Planung des Sportprogramms, die Wohnsituation oder auch die Aktivitäten mit neuen Menschen sind, die man auf der Insel kennenlernt. Es ist auch okay, mal keinen Plan zu haben, loszulassen und zu schauen, was der Zufall oder das Schicksal für einen übrig hat. Ich kann nicht genau wissen, wie die Wellen morgen sind, ob ich morgen Abend wirklich noch Lust habe in eine Bar zu gehen, also warum soll ich es dann schon heute oder gar eine Woche vorher planen. Das ist das Mantra der Insel, welches ich gerne mehr für mich übernehmen möchte. Vielleicht ja dann auch in meinem Alltag in Berlin.
Vielleicht ist es genau diese Gelassenheit, die einem völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Man lässt sich mehr auf den Moment, auf Begegnungen und spontane Zufälle ein. Das Leben geht auch von alleine weiter. Jeden Tag. Und jeden Tag habe ich wieder die Möglichkeit, genau an diesem Tag etwas zu machen. Und in diesem Denken vereinen sich nach meinem Empfinden auch all die verschiedenen Charaktere, die auf dieser Insel landen. Die Work-Life-Balance der digitalen Nomaden besteht meist aus dem Bedürfnis, so viel wie möglich aus dem Tag zu machen. Die Surfer ergeben sich der Gunst der Strömung und des Windes und die Kurzzeitbesucher bekommen einen Ort, an dem die Uhren einfach ein wenig langsamer ticken.
Jede Entscheidung kann etwas bewirken
Vor Ort habe ich die Möglichkeit, vor allem kleine lokale Geschäfte zu unterstützen. In vielen Ecken gibt es kleine Boutiquen - wie das Lapa in El Cotillo. Cafés, wie zum Beispiel das Amiga Mia in Lajares oder Triton Coffee Lab und Restaurants mit ausgefallenen Rezepten wie im Tsunami in El Cotillo, die ihre Produkte lokal beziehen, vor Ort produzieren und zunehmend auf Plastik verzichten. Wenn man sich dazu entscheidet, in einer Unterkunft zu bleiben, gibt es mittlerweile in vielen Orten Fahrradverleihe, die sich super für Tagesausflüge eignen. Wenn man ein bisschen weiter fahren will und Lust auf Abenteuer hat, könnte man auch einfach mal versuchen, den Daumen rauszuhalten und zu trampen. zwischen den Orten funktioniert das in der Regel recht gut. Es braucht vielleicht etwas mehr Zeit, lernt aber mit Sicherheit immer spannende Menschen kennen.
Zu guter Letzt gibt es noch die wunderbare Initiative von Clean Ocean Project, die sich seit über 20 Jahren auf Fuerteventura für eine saubere Insel einsetzt. Besuchen könnt ihr das Projekt in einem der drei Shops in El Cotillo, Lajares und Corralejo. Bei meinem Besuch im Shop in Lajares erzählte mir Laerke, - die sich mit dem Projekt "Women and the Wind" auch global für Plastikfreie Ozeane einsetzt - dass sie mit der Initiative Clean Business bereits dabei sind, mehr und mehr Geschäfte auf die Relevanz des Themas aufmerksam zu machen. Zudem gibt es im Shop bereits eine Auswahl an nachhaltigen Produkten: von Kleidung, über Kaffeebecher, Hygieneartikel bis hin zu Reinigungsmitteln zum selber Abfüllen. Außerdem gibt es überall auf der Insel verteilt sogenannte Playa Pallets, in denen auch ihr Müll sammeln könnt. Dafür gibt es einmal im Monat eine gemeinsame Clean-Up Aktion. Letztes Jahr wurden so 30 Tonnen Plastik an den Stränden von Fuerteventura eingesammelt. Das einfachste ist, einfach immer einen Beutel dabei zu haben und bei jedem Spaziergang oder Wanderung ein paar Sachen mitzunehmen. Das gilt natürlich für alle Orte auf der Welt, an denen ihr unterwegs seid.
Auch wenn ich noch bis (vermutlich) Ende März hier auf der Insel bleibe, hat sich die Reise auf jeden Fall jetzt schon gelohnt. Am Ende ist es eben genau das karge, unberührte und wenig überladene, was vor allem im Kontrast zu einer Stadt wie Berlin dabei hilft, den Kopf frei zu bekommen. Allein der abendliche Blick auf den schier unendlichen Atlantik, während die Sonne hinter den Wellen versinkt, reicht, um glücklich zu sein. Die gesamte Atmosphäre auf der Insel gleicht einer Art dauerhafter Meditation. Gleichzeitig hat man die Möglichkeit, in neue Welten einzutauchen. Der sportlichen Leidenschaft nachgehen und sich neuen Herausforderungen stellen, die Kreativität der anderen auf sich wirken lassen, oder eben einfach mal nix tun, wenn einem danach ist.
Die Kombination aus all diesen Dingen und das wachsende Bewusstsein für einen nachhaltigen Tourismus, durch Initiativen wie Clean Ocean Project, gibt neue Kraft und Energie für ein neues spannendes Jahr 2023.
Fotos: Kai Meier
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